250108_Ulcinj_Shkoder
Montenegro/Albanien, Fr 25.1.08, Etappe Ulcinj (Montenegro) nach Shkoder (Albanien), ca. 50km
Hier am südlichen Ende von Montenegro wird gebaut, was das Zeug hält. Nach einer Nacht im Schlafsack in einem Baustellenzimmer, einem für meine Ohren nicht ausgesprochen musikalisch klingenden Ruf des Muzzein der Moschee gleich nebenan und einem Spaziergang durch den Ort, der sehr orientalisch anmutet, mit seinen zahllosen Internet-Cafés und modernsten Playstation-Salons aber sehr kontrastreich daherkommt, nach all diesen Eindrücken freuen wir uns auf einen Kaffee an der SONNE vor einer Bar.
Zum Kaffee bietet ein in seiner deplazierten Schale etwas schmierig wirkender Kerl mit Sonnenbrille einen Lehrgang in obercoolem Socialising - während er den Platz vor seinem Finanzinstitut immer wieder für eine Runde "Trottoir-Tigern" verlässt, begrüsst er jeden zweiten Passanten mit lässigem Handschlag. Was genau bietet der Typ wohl wirklich an?? Deutlich sympathischer ist unser Tischnachbar, der neben uns entspannt in die Sonne blinzelt und uns nach einigen Minuten auf Schwiizerdütsch anspricht. Seine Feststellung, wir kämen bestimmt aus dem Aargau ist allerdings schon fast etwas frech.. ;=) Er stammt ursprünglich aus Ulcinj, arbeitet aber seit ewig in der Schweiz und hat es anscheinend mit harter Arbeit (Post/Gastgewerbe) zu einem bescheidenen Reichtum gebracht, den er schon vor Jahren hier in ein Hotel investiert hat. So erstaunt es nicht, dass er sehr positiv in die Zukunft blickt und primär die Chancen der neu gewonnenen staatlichen Unabhängigkeit sieht. Dieser nette Kontakt hat allerdings einen entscheidenden Nachteil; er besteht darauf, dass wir noch die Altstadt (die älteste von ganz Montenegro oder Ex-Jugoslavien oder was auch immer..) besichtigen gehen, womit der Aufbruch wohl wieder auf kurz vor Sonnenuntergang verschoben ist..
===========TAGEBUCHAUSZUG========
Eine kalte Nacht später, dank Schlafsack aber ganz OK, sitzen wir ausgangs Ulcinj in einem Strassencafé und werden von unserem Tischnachbarn angesprochen, in Züridüütsch, und zwar mit der Frage, ob wir aus dem Aargau kämen (gut, wir sind NICHT aus Zürich, aber uns gleich als Aargauer zu verdächtigen..). Nun, der vielleicht 35jährige Typ ist einer der Gewinner der Oeffnung; er hat hart gearbeitet in der CH als Chauffeur, alles auf die Karte Immobilien in Montenegro gesetzt (mit Kredit) und ist nun zu Hause in beiden Welten -. und nun bereit, in den Tourismus einzusteigen. Wir sind wohl seine Versuchskanninchen – den Test hat er bestanden, auf sein Insistieren hin verschieben wir die ohnehin schon späte Abfahrt nochmals, um die Altstadt, die schönste, besterhaltendste usw. in ganz Mazedonien zu besichtigen. Am Hafen ist Adamo von der wärmenden Sonne so entzückt, dass er sich auf die Betonmole zum Dösen legt, während ich den Stadthügel alleine bezwinge – es lohnt sich wirklich - und im Sommer ist dort für das Wohl der Touris offensichtlich gut gesorgt, inkl. Hotel an den Klippen mit Sicht aufs Meer.
Schon wieder nach Mittag brechen wir endgültig auf, jetzt geht’s in den wilden Osten und in die Berge. Vorläufig gemässigt durch einen wunderschönen kleinen Canyon. Es wird ländlicher jetzt, erste Dörfer mit wehrhaften langgezogenen Steinhäusern tauchen auf, dann wieder viel freies, landwirtschaftlich nur spätlich benutztes Land. Und dann stehen wir an der Grenze zum bestabgeschottesten Land Osteuropas in der Zeit vor den grossen Umwälzungen Ende der 80er Jahre, als sich der Obergenosse Enver Hodscha einigelte, als würde demnächst eine gemeinsame Armee aus Warschauer Pakt und Nato einfallen wollen... Wir stehen also vor den Toren eines über Jahrzehnte vollständig isolierten und wirtschaftlich wie gesellschaftlich verwüsteten Landes. Was mag heute, knapp 20 Jahre später daraus geworden sein? An schlechter Presse mangelt es Albanien nicht bei uns (wahrscheinlich meistens assoziiert mit Kosova-Albanern) – nun, wir bezahlen unseren Obolus von 20 Euro am beschaulichen, erst kürzlich eröffneten Wald- und Wiesen-Grenzübergang, mit uns noch eine Familie aus Wien, er lebt in Tirana, Frau und Kinder in Oesterreich.. Und dann sind wir durch, friedlich ist es hier, sehr friedlich. Eine Kleinstmoschee vor Schneebergen, ein Dorf mit schmucken Häusern, deren zurückversetze Fassaden hübsche Veranden ergeben, die Kinder am Strassenrand, die uns beim Vorbeifahren, die offene Hand zum „abklatschen“ hinhalten und uns wie kleine Entdecker fühlen lassen, zum Sonnen über die Verandabrüstung gebettete Perserteppiche, eine Stimmung fremd und freudig zugleich, wir sind definitiv in Albanien angekommen! Bepackte Maultiere, Eselskarren, auf der (guten) Strasse schlendernde Leute, hie und da ein Velofahrer, einfach friedlich.
Ganz langsam nur ändert sich die Szenerie. Die an der Strasse stehenden Leute werden mehr, die Häuser sind nun enger aneinander gebaut, die Stadt kündigt sich an. Und ist von einem Moment auf den anderen mit Urgewalt da, wie wir plötzlich durch ein Roma-Elendsquartier fahren – so was mitten in Europa, das hätte ich in dieser Brutalität nicht für vorstellbar gehalten... Kurz zuvor hab ich noch den herrlich frei fliessenden..fluss.... fotografiert, im Hintergrund die Burg von Shkoder und nun, beim Einbiegen auf die Drittweltstimmung heraufbeschwörende Uraltbrücke, legt sich plötzlich ein Kind vor den Autos auf die Strasse, um diese zum Abbremsen zu zwingen – um allenfalls etwas erbetteln zu können. Ich bin froh, wie ich mich an dem ganzen Auflauf (die Brücke ist nur in einer Richtung zu befahren, es gibt also Stau..) hindurchschlängeln kann und wieder in sicherer Distanz zum schlimmsten Elend bin... Was für ein Einstieg in dieses neue Land!
Und dann die Einfahrt in die Stadt selbst, erst auf breiter Hauptstrasse, gesäumt von einigen malerisch anzusehenden Open-Air-Werkstätten (Garagen, Schlossereien etc.), dazwischen weitere behelfsmässige Lotterhütten in denen Familien wohnen, dann modernere Zweckbauten, den vielleicht grässlichsten Wohnblocks, die ich je gesehen habe, wie ausgebombt wirken sie auf mich. Hunderte von Menschen auf den Strassen, sehr viele Velos, einige Motorräder und eher wenige Autos. Schliesslich landen wir auf dem Hauptplatz mit den Statuen von.... und atmen erst mal tief durch – auch Adamo sind die Eindrücke offenbar ziemlich eingefahren.
Etwas verloren stehen wir also mitten in der schwer fassbaren Stadt, von der mir Adamo vor ein paar Stunden noch Geschichten über italienisches Flair und intellektuellen Charme vorgelesen hat.. Mein verzweifeltes Umherschielen nach einer Insel im Chaos führt uns in ein angenehmes Café, in dem tatsächlich Pasta angeboten, italienisch (und englisch) verstanden wird und das offensichtlich tatsächlich von Intellektuellen frequentiert wird. Bei einem Teller Spaghetti erden wir uns wieder und ich breche gestärkt zur Hotelsuche auf.
Ich werde schnell fündig, für 60 Euro plus Touristentaxe gibt’s ein Zimmer im offensichtlich neu eröffneten Hotel mit internationalem Standard, für das gleiche Geld könnten wir uns auch bei einem etwas abgetakelten Bunker einquartieren und für 50 Euro wäre noch das ehemlige Tourist zu haben, mit dem Charme von abgestandenem Sozialismus, inkl. Entsprechend interessiertem Hotelpersonal. Also rein in unsere Trutzburg, die den Unterschied zum eben gesehenen Elend noch dramatischer macht. Ein grosses Zimmer, alles etwas prätentiös und eine Spur zu klotzig, aber ein Telefon IM BAD, das hab ich wirklich noch nie gesehen. Ich glaube meinen Ohren zunächst nicht, wie Adamo mit der Reception über Wäsche verhandelt, während er auf dem Thron sitzt und seinen Geschäften nachgeht..
Zurück auf der Strasse wieder grosser Szenenwechsel – wir wollen die ottomanischen Bauten an der „Nobelmeile“ Shkoders besichtigen und sehen vor allem eines – nichts! Der ganze Strassenzug liegt im Dunkeln, die Geschäfte sind zwar geöffnet, aber eben ohne Licht. Stromausfall! Und das anscheinend täglich für mehrere Stunden. Nur wo es lärmt vor der Tür, das gibt’s buchstäblich Licht im Dunkeln, den ratternden Dieselgeneratoren sei Dank. Wir können es nicht lassen und treten in eine von schwachem Kerzenschein gerade als solche erkennbare Bäckerei ein. Und nehmen je ein Baklava-Teil zum Verzehr gleich an Ort. Der Verkäufer spricht italienisch – er war tatsächlich für ein Jahr in Livigno, ein paar Kilometer neben der Ofenpassstrasse, die wir zum Auftakt passiert hatten. Ein schüchterner Mann mit leicht stockender Stimme, bedrückt wirkend und wohl an sich selber zweifelnd. Es stellt sich heraus, dass er nach einem Jahr als Papierloser ausgewiesen worden ist; für diese sicherlich harten und unergiebigen Monate hat er anscheinend einem Schlepper 3000 Euro bezahlen müssen – gehe davon aus, dass dies mehr ist, als was er je in seinem Leben hier wieder zusammenbekommt.. Kein Wunder wirkt er so niedergeschlagen – und nein, „sposato“ sei er nicht, es klingt als wäre das für einen wie ihn nicht möglich...
Ich beginne mich schon wieder in einen Frust ab dem Zustand unserer Sch..zivilisation hineinzusteigern, als sein Vater eintritt. Und einen Schalk versprüht, eine Lebensfreude, wie ich sie in den letzten Stunden an diesem Ort gar nicht für möglich gehalten hätte. Irgendwie scheint er den Narren an mir bzw. meinen grauen Haaren gefressen zu haben, überhaupt an uns komischen Vögeln, die es da in seinen Laden hineingeschneit hat. Mit Italienisch-Versatzstücken und zusätzlich einem neu dazugekommenen, französisch sprechenden Kunden, welcher mit einer (welschen) Schweizerin verheiratet war, ergeben sich Bruchstücke von Lebensläufen, von Kriegserinnerungen (die deutschen waren OK, die waren diszipliniert – nicht wie die Italiener, die statt sich auf die (Kriegs-)aufgabe zu besinnen, den Einheimischen Essen und Frauen abgeluchst hätten.. Der „Franzose“ hingegen ist auf die Schweizer gar nicht gut zu sprechen und beklagt sich ausdrücklich über Rassismus, darüber dass vor dem Recht ein Albaner nicht gleich behandelt würde wie ein Schweizer oder ein „genehmer“ Ausländer – und ich befürchte, er könnte sogar recht haben damit....
Das „Gespräch“ und die Stimmung wird aber vom Vater bestimmt - und der lässt nichts auf uns kommen, besteht sogar darauf, von uns kein Geld für die je zwei Süssigkeiten entgegenzunehmen, ja er will uns sogar noch weitere mit auf den Weg geben. Und wir würden bei ihm während unseres Aufenthaltes jederzeit bekommen, was wir wünschten – ich bin platt, beschämt und auch unglücklich darüber – nicht wir sollten von ihnen beschenkt werden, wenn denn schon müsste es doch umgekehrt sein... Und die 3000 Euro wollen mir nicht aus dem Kopf. An welchen Teufel musste der Mann wohl seine Seele verkaufen, um diese Summe aufzutreiben? Und welche Zinsen sind da zu bezahlen – und in welcher Form? Wie würde ich so was verkraften? Und was, wenn von mir als Gegenleistung etwas verlangt würde, das ich unter normalen Umständen unter keinen Umständen tun würde..???
Zum Abschied spendieren uns die Elektrizitätswerke ein Ende des Blackouts, das mit Händeklatschen gefeiert wird. Eine Anmerkung am Rande: Albanien soll Energie in die umliegenden Länder exportieren – als wasserreiches Land ist es eigentlich prädestiniert dazu. Und nun kommt mir auch noch Rainers Geschäftsidee in den Sinn, der die Expertise für eine Mineralwasserfabrik hier in Albanien anstrebt, die mit arabischem Kapital aus dem Boden gestampft werden soll, vielleicht gar nicht mal so abwegig und noch einigermassen nachhaltig..
Der Blackout ist ebenso schnell wieder zurück wie wir in unserem Hotel. Hier flackert es nur kurz, danach hat der Generator alles im Griff, gehe davon aus, dass dieser ein rechtes Kaliber sen dürfte. Nachdem Adamo schon das Telefon im Bad amortisiert hat, macht er nun dasselbe mit der Minibar. Er schläft wie üblich schon bevor sein Kopf das Kissen erreicht hat, während ich mich wieder meinen diversen Krankheiten hingebe. Und lange keinen Schlaf finde, dafür dem Geheule und Gebelle der sich zu Rudeln zusammengeschlossenen durch die Stadt streunenden Strassenköter lausche... Wo genau bin ich hier nur gelandet? Ist das wirklich noch Europa? Wie kann es sein, dass in der 2. grössten Stadt des Landes nachts die Hunde den Ton angeben?
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Eine kalte Nacht später, dank Schlafsack aber ganz OK, sitzen wir ausgangs Ulcinj in einem Strassencafé und werden von unserem Tischnachbarn angesprochen, in Züridüütsch, und zwar mit der Frage, ob wir aus dem Aargau kämen (gut, wir sind NICHT aus Zürich, aber uns gleich als Aargauer zu verdächtigen..). Nun, der vielleicht 35jährige Typ ist einer der Gewinner der Oeffnung; er hat hart gearbeitet in der CH als Chauffeur, alles auf die Karte Immobilien in Montenegro gesetzt (mit Kredit) und ist nun zu Hause in beiden Welten -. und nun bereit, in den Tourismus einzusteigen. Wir sind wohl seine Versuchskanninchen – den Test hat er bestanden, auf sein Insistieren hin verschieben wir die ohnehin schon späte Abfahrt nochmals, um die Altstadt, die schönste, besterhaltendste usw. in ganz Mazedonien zu besichtigen. Am Hafen ist Adamo von der wärmenden Sonne so entzückt, dass er sich auf die Betonmole zum Dösen legt, während ich den Stadthügel alleine bezwinge – es lohnt sich wirklich - und im Sommer ist dort für das Wohl der Touris offensichtlich gut gesorgt, inkl. Hotel an den Klippen mit Sicht aufs Meer.
Schon wieder nach Mittag brechen wir endgültig auf, jetzt geht’s in den wilden Osten und in die Berge. Vorläufig gemässigt durch einen wunderschönen kleinen Canyon. Es wird ländlicher jetzt, erste Dörfer mit wehrhaften langgezogenen Steinhäusern tauchen auf, dann wieder viel freies, landwirtschaftlich nur spätlich benutztes Land. Und dann stehen wir an der Grenze zum bestabgeschottesten Land Osteuropas in der Zeit vor den grossen Umwälzungen Ende der 80er Jahre, als sich der Obergenosse Enver Hodscha einigelte, als würde demnächst eine gemeinsame Armee aus Warschauer Pakt und Nato einfallen wollen... Wir stehen also vor den Toren eines über Jahrzehnte vollständig isolierten und wirtschaftlich wie gesellschaftlich verwüsteten Landes. Was mag heute, knapp 20 Jahre später daraus geworden sein? An schlechter Presse mangelt es Albanien nicht bei uns (wahrscheinlich meistens assoziiert mit Kosova-Albanern) – nun, wir bezahlen unseren Obolus von 20 Euro am beschaulichen, erst kürzlich eröffneten Wald- und Wiesen-Grenzübergang, mit uns noch eine Familie aus Wien, er lebt in Tirana, Frau und Kinder in Oesterreich.. Und dann sind wir durch, friedlich ist es hier, sehr friedlich. Eine Kleinstmoschee vor Schneebergen, ein Dorf mit schmucken Häusern, deren zurückversetze Fassaden hübsche Veranden ergeben, die Kinder am Strassenrand, die uns beim Vorbeifahren, die offene Hand zum „abklatschen“ hinhalten und uns wie kleine Entdecker fühlen lassen, zum Sonnen über die Verandabrüstung gebettete Perserteppiche, eine Stimmung fremd und freudig zugleich, wir sind definitiv in Albanien angekommen! Bepackte Maultiere, Eselskarren, auf der (guten) Strasse schlendernde Leute, hie und da ein Velofahrer, einfach friedlich.
Ganz langsam nur ändert sich die Szenerie. Die an der Strasse stehenden Leute werden mehr, die Häuser sind nun enger aneinander gebaut, die Stadt kündigt sich an. Und ist von einem Moment auf den anderen mit Urgewalt da, wie wir plötzlich durch ein Roma-Elendsquartier fahren – so was mitten in Europa, das hätte ich in dieser Brutalität nicht für vorstellbar gehalten... Kurz zuvor hab ich noch den herrlich frei fliessenden..fluss.... fotografiert, im Hintergrund die Burg von Shkoder und nun, beim Einbiegen auf die Drittweltstimmung heraufbeschwörende Uraltbrücke, legt sich plötzlich ein Kind vor den Autos auf die Strasse, um diese zum Abbremsen zu zwingen – um allenfalls etwas erbetteln zu können. Ich bin froh, wie ich mich an dem ganzen Auflauf (die Brücke ist nur in einer Richtung zu befahren, es gibt also Stau..) hindurchschlängeln kann und wieder in sicherer Distanz zum schlimmsten Elend bin... Was für ein Einstieg in dieses neue Land!
Und dann die Einfahrt in die Stadt selbst, erst auf breiter Hauptstrasse, gesäumt von einigen malerisch anzusehenden Open-Air-Werkstätten (Garagen, Schlossereien etc.), dazwischen weitere behelfsmässige Lotterhütten in denen Familien wohnen, dann modernere Zweckbauten, den vielleicht grässlichsten Wohnblocks, die ich je gesehen habe, wie ausgebombt wirken sie auf mich. Hunderte von Menschen auf den Strassen, sehr viele Velos, einige Motorräder und eher wenige Autos. Schliesslich landen wir auf dem Hauptplatz mit den Statuen von.... und atmen erst mal tief durch – auch Adamo sind die Eindrücke offenbar ziemlich eingefahren.
Etwas verloren stehen wir also mitten in der schwer fassbaren Stadt, von der mir Adamo vor ein paar Stunden noch Geschichten über italienisches Flair und intellektuellen Charme vorgelesen hat.. Mein verzweifeltes Umherschielen nach einer Insel im Chaos führt uns in ein angenehmes Café, in dem tatsächlich Pasta angeboten, italienisch (und englisch) verstanden wird und das offensichtlich tatsächlich von Intellektuellen frequentiert wird. Bei einem Teller Spaghetti erden wir uns wieder und ich breche gestärkt zur Hotelsuche auf.
Ich werde schnell fündig, für 60 Euro plus Touristentaxe gibt’s ein Zimmer im offensichtlich neu eröffneten Hotel mit internationalem Standard, für das gleiche Geld könnten wir uns auch bei einem etwas abgetakelten Bunker einquartieren und für 50 Euro wäre noch das ehemlige Tourist zu haben, mit dem Charme von abgestandenem Sozialismus, inkl. Entsprechend interessiertem Hotelpersonal. Also rein in unsere Trutzburg, die den Unterschied zum eben gesehenen Elend noch dramatischer macht. Ein grosses Zimmer, alles etwas prätentiös und eine Spur zu klotzig, aber ein Telefon IM BAD, das hab ich wirklich noch nie gesehen. Ich glaube meinen Ohren zunächst nicht, wie Adamo mit der Reception über Wäsche verhandelt, während er auf dem Thron sitzt und seinen Geschäften nachgeht..
Zurück auf der Strasse wieder grosser Szenenwechsel – wir wollen die ottomanischen Bauten an der „Nobelmeile“ Shkoders besichtigen und sehen vor allem eines – nichts! Der ganze Strassenzug liegt im Dunkeln, die Geschäfte sind zwar geöffnet, aber eben ohne Licht. Stromausfall! Und das anscheinend täglich für mehrere Stunden. Nur wo es lärmt vor der Tür, das gibt’s buchstäblich Licht im Dunkeln, den ratternden Dieselgeneratoren sei Dank. Wir können es nicht lassen und treten in eine von schwachem Kerzenschein gerade als solche erkennbare Bäckerei ein. Und nehmen je ein Baklava-Teil zum Verzehr gleich an Ort. Der Verkäufer spricht italienisch – er war tatsächlich für ein Jahr in Livigno, ein paar Kilometer neben der Ofenpassstrasse, die wir zum Auftakt passiert hatten. Ein schüchterner Mann mit leicht stockender Stimme, bedrückt wirkend und wohl an sich selber zweifelnd. Es stellt sich heraus, dass er nach einem Jahr als Papierloser ausgewiesen worden ist; für diese sicherlich harten und unergiebigen Monate hat er anscheinend einem Schlepper 3000 Euro bezahlen müssen – gehe davon aus, dass dies mehr ist, als was er je in seinem Leben hier wieder zusammenbekommt.. Kein Wunder wirkt er so niedergeschlagen – und nein, „sposato“ sei er nicht, es klingt als wäre das für einen wie ihn nicht möglich...
Ich beginne mich schon wieder in einen Frust ab dem Zustand unserer Sch..zivilisation hineinzusteigern, als sein Vater eintritt. Und einen Schalk versprüht, eine Lebensfreude, wie ich sie in den letzten Stunden an diesem Ort gar nicht für möglich gehalten hätte. Irgendwie scheint er den Narren an mir bzw. meinen grauen Haaren gefressen zu haben, überhaupt an uns komischen Vögeln, die es da in seinen Laden hineingeschneit hat. Mit Italienisch-Versatzstücken und zusätzlich einem neu dazugekommenen, französisch sprechenden Kunden, welcher mit einer (welschen) Schweizerin verheiratet war, ergeben sich Bruchstücke von Lebensläufen, von Kriegserinnerungen (die deutschen waren OK, die waren diszipliniert – nicht wie die Italiener, die statt sich auf die (Kriegs-)aufgabe zu besinnen, den Einheimischen Essen und Frauen abgeluchst hätten.. Der „Franzose“ hingegen ist auf die Schweizer gar nicht gut zu sprechen und beklagt sich ausdrücklich über Rassismus, darüber dass vor dem Recht ein Albaner nicht gleich behandelt würde wie ein Schweizer oder ein „genehmer“ Ausländer – und ich befürchte, er könnte sogar recht haben damit....
Das „Gespräch“ und die Stimmung wird aber vom Vater bestimmt - und der lässt nichts auf uns kommen, besteht sogar darauf, von uns kein Geld für die je zwei Süssigkeiten entgegenzunehmen, ja er will uns sogar noch weitere mit auf den Weg geben. Und wir würden bei ihm während unseres Aufenthaltes jederzeit bekommen, was wir wünschten – ich bin platt, beschämt und auch unglücklich darüber – nicht wir sollten von ihnen beschenkt werden, wenn denn schon müsste es doch umgekehrt sein... Und die 3000 Euro wollen mir nicht aus dem Kopf. An welchen Teufel musste der Mann wohl seine Seele verkaufen, um diese Summe aufzutreiben? Und welche Zinsen sind da zu bezahlen – und in welcher Form? Wie würde ich so was verkraften? Und was, wenn von mir als Gegenleistung etwas verlangt würde, das ich unter normalen Umständen unter keinen Umständen tun würde..???
Zum Abschied spendieren uns die Elektrizitätswerke ein Ende des Blackouts, das mit Händeklatschen gefeiert wird. Eine Anmerkung am Rande: Albanien soll Energie in die umliegenden Länder exportieren – als wasserreiches Land ist es eigentlich prädestiniert dazu. Und nun kommt mir auch noch Rainers Geschäftsidee in den Sinn, der die Expertise für eine Mineralwasserfabrik hier in Albanien anstrebt, die mit arabischem Kapital aus dem Boden gestampft werden soll, vielleicht gar nicht mal so abwegig und noch einigermassen nachhaltig..
Der Blackout ist ebenso schnell wieder zurück wie wir in unserem Hotel. Hier flackert es nur kurz, danach hat der Generator alles im Griff, gehe davon aus, dass dieser ein rechtes Kaliber sen dürfte. Nachdem Adamo schon das Telefon im Bad amortisiert hat, macht er nun dasselbe mit der Minibar. Er schläft wie üblich schon bevor sein Kopf das Kissen erreicht hat, während ich mich wieder meinen diversen Krankheiten hingebe. Und lange keinen Schlaf finde, dafür dem Geheule und Gebelle der sich zu Rudeln zusammengeschlossenen durch die Stadt streunenden Strassenköter lausche... Wo genau bin ich hier nur gelandet? Ist das wirklich noch Europa? Wie kann es sein, dass in der 2. grössten Stadt des Landes nachts die Hunde den Ton angeben?