WinterTOUR08 - Intro & Reiseberichte - TEIL 2
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Entwurf Artikel Globetrotter
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Grauhaar-Biker im Grenzbereich - mit 50 per Velo zu den (neuen) Rändern Europas
Mit Fünfzig wie ein verspäteter Teenager ohne grosse Pläne dieWelt erfahren, sie erleiden und erstrampeln, dem abgelutschten Spruch vom „Weg als Ziel“ gerade dennoch eine Chance geben. Dem Alltag entfliehen, mit etwas erkämpftem Glück Schönes erleben - oder notfalls auch nur Langeweile erdauern und Mühsal erdulden. Das Alleinsein ertragen, innere Öffnung erzwingen, unterschwellige Angst bekämpfen, Kontrollverlust zulassen. Dinge so unspektakulär wie leicht ausgesprochen – aber eben nur schwer getan!
Der lange aufgeschobene Sabbatical wird drei Monate vor dem 50igsten Geburtstag völlig überhastet lanciert, um die Reise zusammen mit einem Freund angehen zu können, der im Januar gut zwei Wochen Zeit hat und mir damit den winterlichen Aufbruch erleichtert. Über den Ofenpass via Norditalien, Slovenien, Kroatien, Montenegro, Albanien und Mazedonien muss die nordgriechische Metropole Thesalloniki wegen des Rückreisedatums meines temporären Reispartners in gerade mal 16 Tagen erreicht sein; ich opfere dafür die kroatische Küste, welche ich vor zwei Jahren in der Gegenrichtung auf dem Rückweg von Bosnien mit meiner Partnerin abgefahren bin. Über die weitere Route, ab Saloniki werde ich mir unterwegs Gedanken machen. Dann werde ich auf mich alleine gestellt sein - alles weitere wird sich geben, irgendwie..!
Albanien – eine Fernreise mitten in Europa Wir stehen an der Grenze zum bestabgeschottesten Land Osteuropas in der Zeit vor den grossen Umwälzungen Ende der 80er-Jahre, als sich der Obergenosse Enver Hoxha noch einigelte, als würde demnächst eine gemeinsame Armee aus Warschauer Pakt und Nato in Albanien einfallen wollen.
Wir haben die Tore des über Jahrzehnte vollständig isolierten und wirtschaftlich wie gesellschaftlich verwüsteten Landes erreicht. Was mag heute, knapp zwanzig Jahre später, aus dem Land geworden sein? Wie stark hab ich mich schon anstecken lassen von lautbösartig bis sanft-ironischen Kommentaren bezüglich dem, was mich dort erwarten würde. Kopfschütteln und Schulterzucken waren dabei die gnädigsten Reaktionen auf die Ankündigung, ausgerechnet durch Albanien nach Osten vorzustossen.
Ländliche Idylle Am beschaulichen, erst kürzlich eröffneten Feld-, Wald- und Wiesen-Grenzübergang bezahlen wir unseren „Zugangs-Obolus“ von 20 Euro. LangesWarten und die wortkargen Beamten verstärken meine leichte Unsicherheit, was genau uns denn nun erwarten wird. Aber dann sind wir durch – und stehen mitten in einer ländlichen Idylle. Eine Kleinstmoschee mit Mini-Minarett vor schneebedeckten Gipfeln, ein Dorf mit schmucken Häusern, deren zurück versetze Fassaden hübsche Veranden ergeben, Kinder am Strassenrand, die uns beim Vorbeifahren die offene Hand zum „Abklatschen“ hinhalten und uns wie kleine Entdecker fühlen lassen. Zum Sonnen über die Verandabrüstung gebettete Perserteppiche, bepackte Maultiere, malerische Eselskarren, auf der (guten) Strasse schlendernde Leute, hie und da ein Velofahrer, einfach friedlich, eine Stimmung fremd und freudig zugleich.Wir sind definitiv in Albanien angekommen!
Ankunft in Albanien – Idylle pur Kurz von Shkoder, am Zusammenfluss von Drin, Buna und Kiri. Ganz langsam nur ändert sich die Szenerie. Die am Strassenrand auf einen Schwatz zusammenstehenden Leute werden zahlreicher, die Häuser sind nun enger aneinander gebaut, die Stadt kündigt sich an. Und ist von einem Moment auf den anderen mit Urgewalt da.
Städtisches Elend Eben noch hatte ich die herrlich frei fliessende Buna fotografiert, im Hintergrund die Burg Rozafa, das eigentliche Wahrzeichen von Shkoder. Nun, nur Minuten später, radle ich mitten durch ein Roma-Elendsquartier, mit Kindern, die sich vor den nun zahlreicheren Autos auf die Strasse legen, um etwas von den Fahrern erbetteln zu können.
< Shkoder, die zweitgrösste Stadt Albaniens - zwischen Elend und Moderne Weiter geht dasWechselbad der Gefühle mit der Einfahrt in die Stadt selbst, erst auf breiter Hauptstrasse, gesäumt von einigen malerisch anzusehenden Open-Air-Werkstätten (Garagen, Schlossereien etc.), dazwischen weitere behelfsmässige Lotterhütten in denen ganze Familien wohnen, dann modernere Zweckbauten und grässliche, wie ausgebombt wirkende Wohnblocks. Die Strasse selbst ist bevölkert von Hunderten von Menschen, vielen Velos, einigen Motorrädern aber eher wenigen Autos. Schliesslich landen wir auf dem Hauptplatz, dem von einem Heldendenkmal dominierten Rozafa Square - und atmen erst mal tief durch. Etwas verloren stehen wir also mitten in der schwer fassbaren Stadt, von der mir Adamo vor ein paar Stunden noch Geschichten über italienisches Flair und intellektuellen Charme vorgelesen hat. Bei einem Essen in einer tatsächlich von Intellektuellen bevölkerten Kneipe schütteln wir unsere „wo sind wir da nur gelandet“-Gefühle ab und finden im neueröffneten Hotel „Grand Europa“ ein mehr als anständiges Zimmer. Die 60 Euro erscheinen günstig, vor allem im Gegensatz zu einem gleich teuren ziemlich abgetakelten Hotelbunker oder den 50 Euro für das ehemalige „Tourist“ mit seinem Charme von abgestandenem Sozialismus und entsprechend interessiertem Hotelpersonal.
Licht aus – Generator an Gegen Abend wollen wir die ottomanischen Bauten an der „Nobelmeile“ Shkoders besichtigen und sehen vor allem eines – Nichts! Der ganze Strassenzug liegt im Dunkeln, die Geschäfte sind zwar geöffnet, aber eben ohne Licht - Stromausfall! Und das anscheinend tagtäglich für mehrere Stunden. Nur wo es lärmt vor der Tür, das gibt’s buchstäblich Licht im Dunkeln, den ratternden Dieselgeneratoren sei Dank. Baklava – und ein wenig süsses Schicksal In einer von schwachem Kerzenschein erleuchteten Bäckerei bestellen wir ein Baklava-Teil. Der Verkäufer lebte ein Jahr in Livigno, gerade mal ein paar Kilometer neben der Ofenpassstrasse, die wir zum Auftakt vor zweiWochen in beste rWinterlaune passiert hatten. Ein schüchterner Mann mit leicht stockender Stimme, bedrückt wirkend und wohl an sich selber zweifelnd. Es stellt sich heraus, dass er nach einem Jahr als Papierloser aus Italien ausgewiesen worden ist; für diese sicherlich harten und unergiebigen Monate einem Schlepper viel Geld bezahlt hat – wohl mehr, als er in seinem Leben hier je wieder zusammenbekommt. Kein Wunder wirkt er so niedergeschlagen – und nein, „sposato“ sei er nicht, es klingt als wäre eine Frau oder gar eine Familie für einen wie ihn nicht vorgesehen..
Ich beginne mich (wieder einmal) in einen Frust ab dem Zustand unserer Zivilisation hineinzusteigern, als sein Vater eintritt. Und einen Schalk versprüht, eine Lebensfreude, wie ich sie in den letzten Stunden an diesem Ort nicht für möglich gehalten hätte. Irgendwie scheint er den Narren an mir bzw. meinen grauen Haaren gefressen zu haben, überhaupt an uns komischen Vögeln, die es da in seinen Laden hineingeschneit hat. Geld will er von uns um keinen Preis annehmen, ganz im Gegenteil, er möchte uns noch weitere Teile mit auf den Weg geben; ich bin platt, beschämt und auch unglücklich darüber – nicht wir sollten von ihnen beschenkt werden, wenn schon müsste es doch umgekehrt sein. Auch die Tausenden von Euro für den Schlepper wollen mir nicht aus dem Kopf. An welchen Teufel musste der Mann wohl seine Seele verkaufen, um diese Summe aufzutreiben? Welche Zinsen sind da zu bezahlen – und in welcher Form?
Während mein temporärer Reisepartner wie üblich schon im Tiefschlaf ist, bevor sein Kopf auch nur das Kissen erreicht, gebe ich mich einmal mehr meinen diversen Krankheiten hin. Und finde lange keinen Schlaf, lausche dafür dem Geheule und Gebelle der sich zu Rudeln zusammengeschlossenen, durch die Innenstadt streunenden Strassenköter.Wo genau bin ich hier gelandet? Ist das wirklich noch Europa? Wie kann es sein, dass in der zweitgrössten Stadt dieses Landes nachts die Hunde den Ton angeben?
Alleingang Nach einer schlechten Nacht folgt ein nicht sonderlich guter Morgen und ich fasse den Entschluss, mich kränklich wie ich schon seit Tagen bin auf keinerlei Abenteuer über ungesicherte „backroads“ im Norden einzulassen. Adamo wird morgen mit einer Fähre die Drin hochschippern und will danach irgendwie nach Kukes gelangen, von wo es eine schwer zu befahrende Piste durch eine Landschaft von wilder Schönheit geben soll. So alles optimal läuft, werden wir uns in drei Tagen in Peshkopi treffen, in den Bergen im Osten Albaniens, nahe der Grenze zu Mazedonien. Getrennte Wege für die nächsten Tage – immerhin ist man hier als Velofahrer nicht alleine..
Kombinierter Langsamverkehr Nun wird die Kamera mein Begleiter; sie hilft, eine innere Unruhe gewoben aus Unwägbarkeiten, diffuser Angst und plötzlicher Einsamkeit zu übertünchen. Da ich ab Griechenland ohnehin für die nächsten Monate auf mich alleine gestellt sein werde, gewöhne ich mich besser sehr schnell an diese Situation! Umso mehr, als ich das Alleinereisen ausdrücklich geplant hatte.. Eine erste Beschäftigung besteht darin, den hier wohl ohne grosses Konzept gut funktionierenden kombinierten Langsamverkehr zu dokumentieren. Die Strasse ist voller Fussgänger, sehr langsam fahrender Autos und vor allem auf beiden Strassenseiten in verschiedene Richtungen strebender Fahrräder!! Als „korrekt“ fahrender Velopilot staunt man nicht schlecht, wie einem scharenweisse alte aber durchaus fahrtüchtige Zweiräder entgegenkommen, die von Leuten jeden Alters gefahren werden. Verkehrstechnisch könnte uns Shkoder durchaus als leuchtendes Vorbild dienen!
Was genau morgen sein wird, ob ich wirklich auf- oder nicht vielmehr abbrechen werde – ich verdränge den Gedanken daran und lausche wieder den Hunderudeln und denke an das Elend, das an die Mauern meiner Luxusinsel schwappt. Ich muss unbedingt gesund werden, um diese intensiven und widersprüchlichen Eindrücke verarbeiten zu können. Und ausserdem brauch ich dringend etwas Kraft für die drohend mit Schneekronen aufwartenden Berge auf demWeg nach Osten.
zwischen Mercedes und Eselkarren Vorbei an zahlreichen Strassenständen mit bunten Plastikbecken, in denen einzelne Exemplare der berühmten Skhodra-Karpfen zappeln, geht es auf sehr guter Strasse über die grosse Ebene entlang der omnipräsenten Drin Richtung Süden. Wenig Verkehr, keine Raser (ganz im Gegensatz zu den zahllosen Warnungen!!), dafür hie und da ein Maultiergespann oder ein hochbeladener Esel, hinter dem sich fast ausschliesslich aus dem Hause Benz stammende ältere Limousinen und neue Minibusse stauen. Hauptstrasse Shkoder–Lezhe: 90% Mercedes, 1% Eselkarren, 9% Sonstige (ohne Gewähr..)
Seit Lezhe fahre ich auf einer fast verkehrsfreien dafür ruppigen Piste parallel zur Hauptstrasse südwärts. An einer Brücke über die aus den Bergen kommende Drin bewegt sich der Lenker nach links – der Entscheid zurWeiterfahrt ist gefallen und schon radle ich mutterseelenalleine auf einer sanft ansteigenden Strasse durch eine herrliche Schlucht den Bergen entgegen. Krankheit und Unsicherheit sind besiegt! Die Bergwelt und die Einsamkeit bekommen mir!
Albaniens Bergwelt – Eindrücke wie aus einer fernen Welt Ein Bretterverschlag mit Dutzenden von kunstvoll aufgeschichteten Motorölflaschen als Auslage erinnert an Südamerika, zahlreiche kleine, meist eher improvisierte Kneipen am Strassenrand mit Sicht auf die Schlucht lassen von einem zukünftigen florierenden Tourismus träumen, Kleinstsiedlungen auf den sanft abfallenden Hängen auf der gegenüberliegenden Flussseite wecken die Neugier, wie man dort in der beträchtlichen Abgeschiedenheit wohl leben mag.
Die Bergwelt Albaniens - Eindrücke wie aus einer ferner Welt.. Kaum gedacht hält vor mir ein Lieferwagen, pilotiert den Wagen eine improvisierte Stichstrasse an der diesseitigen Böschung hinunter, an deren Ende auf etwa halber Höhe zwischen Strasse und Fluss die Ladung auf Maultiere umgepackt wird. Die Tiere werden anschliessend von den Bewohnern geduldig über eine ebenso lange wie äusserst „luftige“ Hängebrücke geleitet – mein „Entdeckergeist“ regt sich und freut sich über die neuen Eindrücke wie aus einer fernen Welt.
Über eine erste Staustufe (Enver Hoxha hatte in seinem Verfolgungswahn nicht nur Tausende von Bunker gebaut, sondern vernünftigerweise auch an eine gewisse Autarkie bei der Energieversorgung gedacht) geht’s weiter in die Berge, Dörfer gibt es hier fast keine mehr, nur einsame Weiler dies- und jenseits des Flusses. Einzig die Grabsteine sind direkt an der Hauptstrasse aufgereiht..
Burrell, ein berüchtigtes Dorf voller gastfreundlicher Leute Rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit und der damit verbundenen klirrenden Kälte treffe ich in Burrell ein - mit einer gewissen Unruhe betreffend der Übernachtungsmöglichkeit. Und wirklich, nirgends ist ein Hotel auszumachen, dafür einmal mehr ausschliesslich mit Männern jeglichen Alters bevölkerte Strassen, diverse dunkle Kneipen - und als Rettungsanker ein Internet-Café.
Eine kleine Verpflegung, viel Parlieren einmal mehr mit allen irgendwie zur Verfügung stehenden Sprachen und Sprachfetzen, eine Internet-Session im verrauchten Saal hinter dem eigentlichen Café (jeder Bildschirm besetzt von der Dorfjugend, die hier spielt und chattet), nochmals ein Coke zur Feier meiner Genesung – nun fühl ich mich „geerdet“ und bereit, für die Dinge die da kommen mögen auf dem weiteren langen und saukalten Weg nach Istanbul.
Nachdem nun die Lieben daheim und auch ich selbst beruhigt sind, bin ich schon fast ins Dorfleben aufgenommen; wahrscheinlich jeder weiss nun, dass da einer aus der „Schwiiz“ (etwa so betonen sie das hier!) per Velo nach Burrell gekommen ist. Ich bin inzwischen hundemüde und werde von einem Kollegen des jungen Kellners zu einem Haus geleitet, das offensichtlich als Schule gebraucht wird und in dem es auch eine Übernachtungsmöglichkeit geben soll. Null-Sterne-Hotel mit Behelfsdusche Vis-a-vis eines Klassenzimmers liegt ein Gästezimmer mit 4 Betten, von denen zwei schon von Polizisten im Einsatz belegt sind. Alles sieht sehr einfach und ziemlich chaotisch aus - aber ich fühl mich wohl, auch die gewöhnungsbedürftige Dusche, ein Uraltklo mit verbeultem Lavabo, an dessen Wasserarmatur behelfsmässig ein Duschschlauch befestigt ist, schreckt mich nicht ab.
Null Sterne für das Design, vier Sterne für das heisse Wasser und für die Gastfreundschaft. Kaum ist nach mehreren Anläufen endlich eine funktionierende Glühbirne gefunden, lässt sich auch dasWarmwasser nicht mehr lumpen - und ich bin vollends glücklich, gerade hier gelandet zu sein.
Von Gewehrschuss-Knallereien, Finanzschwindel und ziviler Unrast Warm eingemümmelt in meinen Schlafsack falle ich in einen eher unsteten Schlaf, der von klar an Gewehrschüsse erinnernde Knallereien auch nicht ruhiger wird. Erst am nächsten Morgen erfahre ich, dass tatsächlich geschossen worden ist, soviel ich mitbekomme aus reiner „Spass an der Freude“.
Nach der zivilen Unrast Ende der 90er Jahre, entzündet am Bankrott der Banken, die hochverzinste Fonds im Schneeballprinzip herausgegeben hatten (der Grossteil der Bevölkerung soll davon betroffen gewesen sein - statt nach Jahren der Isolation im vermeintlich kapitalistischen Wunderland anzukommen, wurde sie brutal mit dessen Kehrseite konfrontiert) - nach diesen Verwerfungen wurden unzählige Waffen aus den Arsenalen der Armee entwendet und haben sich seither wohl nicht allesamt in Luft aufgelöst - zumal nicht hier, im damals anscheinend als besonders „wild“ geltenden Burrell. Zu diesem Ruf (aber nicht zu meinen Erfahrungen!) passen natürlich auch die Anschuldigungen, welche Carla del Ponte in ihrem Buch gegenüber der kosovarischen UCK erhebt, wonach serbische Gefangene nach Albanien ins relativ abgelegene Burell verschleppt worden seien - um ihnen hier Organe zu entnehmen und sie auf dem „freien Markt“ zu verkaufen.. Fatmir hat nun aber ganz zivile Probleme, er sollte nämlich bereits in der Schule sein, will aber den Kaffee nicht ausfallen lassen. Also schnell rein in eine Kneipe um die Ecke, einige tiefe Zigarettenzüge - hier rauchen ausnahmslos immer alle, und zwar Kette! - dann einen Espresso runtergekippt, bevor wir uns wie alte Freunde trennen und je unsererWege gehen.
Türkischer Kaffee in den albanischen Bergen Kaum drei Kilometer ausserhalb Burrell fotografiere ich einige Heuhaufen; ein Bauer beobachtet von der gegenüberliegenden Strassenseite mein seltsames Tun - ein grauhaariger Mann in kurzen Hosen auf einem hochbepackten Velo, der hier Heuhaufen fotografiert. Er spricht mich an und lädt mich kurzerhand zum Kaffee in sein Haus. Bauernfamilie oder Schulkinder – die gegenseitige Neugier ist gross.. So sitze ich schon bald in der Küche des Hauses, zusammen mit der ganzen Familie beim türkischen Kaffee. Konversation wie üblich mit Gesten, einigen Brocken italienisch und etwas englisch. Etwas ungewöhnlich erscheint mir, dass nur ich verpflegt und dabei von der ganzen Familie beobachtet werde. Wenigstens beim eigenen sehr fruchtigen Wein trinkt der Hausherr aber ein Gläschen mit. Da kann ich nicht gut ablehnen und hoffe, der süffige Trank ist nicht allzu schwer – wie soll ich sonst nur je die Berge hochkommen..
In den Bergen Albaniens Freche Kerle und positive Neugier Die Entdeckungsreise geht weiter; vor einem anhand eines auffallend farbenprächtigen Anstrichs von weitem als Schulhaus zu erkennenden Gebäudes ist eben Pause angesagt. Schnell überkommt die Kinder die Neugier - und so posieren sie bereitwillig für ein Foto. Das Schulsystem scheint also auch in den entlegenen Regionen zu funktionieren, ich werde heute noch ganze Schüler-Völkerwanderungen erleben, wobei auch schon mal ein paar Jungs beweisen wollen, wie cool sie drauf sind, dabei schreiend neben mir herrennen und mich auch etwas beunruhigen beim Gedanken, sie könnten mir in den Lenker greifen. Natürlich treffe ich immer dann auf besonders freche Kerle, wenn die Strasse ansteigt und mit meiner 50kg-Zuladung keine Rede von einem auch noch so kurzen Spurt sein kann.
Mercedes-Sammeltaxis, Rückgrat des albanischen Transportwesens Im Laufe des Tages erklimme ich einige Höhenmeter, bei noch immer sehr geringem Verkehr, ausser mir sind nur die allgegenwärtigen genialen Mercedes-Sammeltaxis sowie ein paar Camions unterwegs. Strassenverhältnisse unverändert OK, Schlaglochpisten wechseln im 100m-Takt mit tadellosen neu asphaltierten Abschnitten.
Mercedes ohne Ende - noch vor kurzem auf deutschen Strassen unterwegs Smalltalk mit grossen Gesten an der Grenze zu Mazedonien Wo auch immer ich ein paar Minuten anhalte, sind die Leute sehr interessiert am Wintergast mit dem seltsamen, hochbepackten Reisegefährt. Meist haben sie Zeit im Überfluss und schnell ergibt sich der übliche „smalltalk mit grossen Gesten“ zur Anreicherung der Konversation mit Italienischfloskeln. In einer Kneipe in einem kleinen Ort direkt an der mazedonischen Grenze bei Debar, glüht ein Bullerofen und verbreitet herrliche Wärme – leider funktioniert aber die Espresso-Maschine nicht – Stromausfall, einmal mehr! Nach den vielen Stunden draussen in Kälte und Wind bin ich aber auch über etwas heissesWasser für einen Tee mehr als glücklich.
Die Landstrasse als Raum für Begegnungen../ Peshkopia – malerisches Bergdorf und regionales Zentrum Nord-Ost-Albaniens Trotz Kälte, steilen Hügeln und unangenehmem Gegenwind - nun kann mir wohl nichts mehr passieren, ich werde Peshkopia noch bei Tageslicht erreichen! Das wird aber auch höchste Zeit, ich krieg kaum die Worte zusammen um nach dem Hotel zu fragen, in dem wir uns treffen wollen – meine Gesichtsmuskeln sind vom eiskaltenWind in eine Halbstarre geblasen worden. Nach Dusche, die trotz dem noch immer sozialistischen Mief ausstrahlendem Haus richtig heisses Wasser bietet, falle ich glücklich aufs Bett, lausche dem wieder laut pfeiffenden Wind und hoffe, Adamo ist nicht noch draussen auf der Piste; ich gehe inzwischen davon aus, dass ich ihn heute Abend nicht mehr antreffen werde. Kaum gedacht belehrt mich seine markante Stimme draussen auf dem Flur eines besseren - er hat sich also doch durchgeschlagen, über die wilde Backroad entlang der schwarzen Drin, fast verkehrslos zwar, aber mit umso schlechterem Schotter.Wir fallen uns in die Arme, so erfreut sind wir beide, dass es perfekt geklappt hat mit unserem Treffen hier in den albanischen Bergen.
Das Heer der flanierenden Männer Nachdem wir beim Schnürsenkelkauf hinter Gardinen aus zusammengeknüpften Schuhen einen mittleren Menschenauflauf verursacht habe, bekommen wir von einem der zahllosen „Italien- Rückkehrer“ eine weitere entbehrungsreiche Lebensgeschichte zu hören. Immerhin hat es der ältester Sohn des hier „sischilliano“ gennanten Mannes geschafft, in Sizilien zu bleiben - statt hier Gefahr zu laufen, das „Heer der flanierenden Männer“ zu vergrössern. Ein Heer, das bezogen auf die unmittelbare wirtschaftliche Zukunft des Landes eine beängstigende Grösse aufweist und auch hier in Peshkopia, an einem stinknormalen Dienstagmorgen für eine wuselnde, von jungen Männern bevölkerte Hauptstrasse sorgt; Männer, die ziellos auf- und abgehen, offensichtlich ohne grosse Perspektive oder Hoffnung auf eine baldige Besserung der wirtschaftlichen Zustände.
..es sind aber durchaus auch (moderne) Frauen anzutreffen auf Peshkopias Strassen..
Die berühmten albanischen Bunker - gross genug auch für 2-Meter-Menschen? Die letzten Kilometer in Albanien auf dem Weg zurück nach Debar nutzen wir, um die omnipräsenten Bunker einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Ganz deutlich ist hier die Gruppierung von diversen kleinen Einmann- rund um einen grösseren Kommandobunker auszumachen. Adamo testet aus, ob die Dinger auch für 2-Meter-Brocken taugen. Nun, zumindest kommt er rein - und mit etwas Schwierigkeit sogar wieder raus ;=)
Bunker aus paranoiden Hoxha-Zeiten und friedliche Strassenszene an der Grenze zu Mazedonien bei Debar Und dann stehen wir auch schon an der Grenze zu Mazedonien, dem nach Montenegro zu diesem Zeitpunkt zweit jüngsten unabhängigen Staat Europas (Kosova wird einen Monat nach unserem Aufenthalt selbständig). Die wenigen Tage per Velo durch Albanien haben für mich persönlich einen der letzten weissen Flecke auf Europas Karte mit Farbe und Leben gefüllt, haben die anfängliche leise Unruhe gewandelt in eine erneute Bestätigung, dass die meisten Vorurteile primär von Ignoranz und purer Unwissenheit genährt werden. Der Kilometerstand meines Velos zeigt inzwischen gerade mal 1000km an – und doch drängen sich seit einigen Tagen Gefühle wie bei einer Reise in ferne, exotische Länder ins Bewusstsein. Dabei sind wir nur einen Steinwurf von Italien entfernt; soviel Neues und bisher Unbekanntes ist wohl nirgends günstiger oder ökologischer zu haben!
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Der lange aufgeschobene Sabbatical wird drei Monate vor dem 50igsten Geburtstag völlig überhastet lanciert, um die Reise zusammen mit einem Freund angehen zu können, der im Januar gut zwei Wochen Zeit hat und mir damit den winterlichen Aufbruch erleichtert. Über den Ofenpass via Norditalien, Slovenien, Kroatien, Montenegro, Albanien und Mazedonien muss die nordgriechische Metropole Thesalloniki wegen des Rückreisedatums meines temporären Reispartners in gerade mal 16 Tagen erreicht sein; ich opfere dafür die kroatische Küste, welche ich vor zwei Jahren in der Gegenrichtung auf dem Rückweg von Bosnien mit meiner Partnerin abgefahren bin. Über die weitere Route, ab Saloniki werde ich mir unterwegs Gedanken machen. Dann werde ich auf mich alleine gestellt sein - alles weitere wird sich geben, irgendwie..!
Albanien – eine Fernreise mitten in Europa Wir stehen an der Grenze zum bestabgeschottesten Land Osteuropas in der Zeit vor den grossen Umwälzungen Ende der 80er-Jahre, als sich der Obergenosse Enver Hoxha noch einigelte, als würde demnächst eine gemeinsame Armee aus Warschauer Pakt und Nato in Albanien einfallen wollen.
Wir haben die Tore des über Jahrzehnte vollständig isolierten und wirtschaftlich wie gesellschaftlich verwüsteten Landes erreicht. Was mag heute, knapp zwanzig Jahre später, aus dem Land geworden sein? Wie stark hab ich mich schon anstecken lassen von lautbösartig bis sanft-ironischen Kommentaren bezüglich dem, was mich dort erwarten würde. Kopfschütteln und Schulterzucken waren dabei die gnädigsten Reaktionen auf die Ankündigung, ausgerechnet durch Albanien nach Osten vorzustossen.
Ländliche Idylle Am beschaulichen, erst kürzlich eröffneten Feld-, Wald- und Wiesen-Grenzübergang bezahlen wir unseren „Zugangs-Obolus“ von 20 Euro. LangesWarten und die wortkargen Beamten verstärken meine leichte Unsicherheit, was genau uns denn nun erwarten wird. Aber dann sind wir durch – und stehen mitten in einer ländlichen Idylle. Eine Kleinstmoschee mit Mini-Minarett vor schneebedeckten Gipfeln, ein Dorf mit schmucken Häusern, deren zurück versetze Fassaden hübsche Veranden ergeben, Kinder am Strassenrand, die uns beim Vorbeifahren die offene Hand zum „Abklatschen“ hinhalten und uns wie kleine Entdecker fühlen lassen. Zum Sonnen über die Verandabrüstung gebettete Perserteppiche, bepackte Maultiere, malerische Eselskarren, auf der (guten) Strasse schlendernde Leute, hie und da ein Velofahrer, einfach friedlich, eine Stimmung fremd und freudig zugleich.Wir sind definitiv in Albanien angekommen!
Ankunft in Albanien – Idylle pur Kurz von Shkoder, am Zusammenfluss von Drin, Buna und Kiri. Ganz langsam nur ändert sich die Szenerie. Die am Strassenrand auf einen Schwatz zusammenstehenden Leute werden zahlreicher, die Häuser sind nun enger aneinander gebaut, die Stadt kündigt sich an. Und ist von einem Moment auf den anderen mit Urgewalt da.
Städtisches Elend Eben noch hatte ich die herrlich frei fliessende Buna fotografiert, im Hintergrund die Burg Rozafa, das eigentliche Wahrzeichen von Shkoder. Nun, nur Minuten später, radle ich mitten durch ein Roma-Elendsquartier, mit Kindern, die sich vor den nun zahlreicheren Autos auf die Strasse legen, um etwas von den Fahrern erbetteln zu können.
< Shkoder, die zweitgrösste Stadt Albaniens - zwischen Elend und Moderne Weiter geht dasWechselbad der Gefühle mit der Einfahrt in die Stadt selbst, erst auf breiter Hauptstrasse, gesäumt von einigen malerisch anzusehenden Open-Air-Werkstätten (Garagen, Schlossereien etc.), dazwischen weitere behelfsmässige Lotterhütten in denen ganze Familien wohnen, dann modernere Zweckbauten und grässliche, wie ausgebombt wirkende Wohnblocks. Die Strasse selbst ist bevölkert von Hunderten von Menschen, vielen Velos, einigen Motorrädern aber eher wenigen Autos. Schliesslich landen wir auf dem Hauptplatz, dem von einem Heldendenkmal dominierten Rozafa Square - und atmen erst mal tief durch. Etwas verloren stehen wir also mitten in der schwer fassbaren Stadt, von der mir Adamo vor ein paar Stunden noch Geschichten über italienisches Flair und intellektuellen Charme vorgelesen hat. Bei einem Essen in einer tatsächlich von Intellektuellen bevölkerten Kneipe schütteln wir unsere „wo sind wir da nur gelandet“-Gefühle ab und finden im neueröffneten Hotel „Grand Europa“ ein mehr als anständiges Zimmer. Die 60 Euro erscheinen günstig, vor allem im Gegensatz zu einem gleich teuren ziemlich abgetakelten Hotelbunker oder den 50 Euro für das ehemalige „Tourist“ mit seinem Charme von abgestandenem Sozialismus und entsprechend interessiertem Hotelpersonal.
Licht aus – Generator an Gegen Abend wollen wir die ottomanischen Bauten an der „Nobelmeile“ Shkoders besichtigen und sehen vor allem eines – Nichts! Der ganze Strassenzug liegt im Dunkeln, die Geschäfte sind zwar geöffnet, aber eben ohne Licht - Stromausfall! Und das anscheinend tagtäglich für mehrere Stunden. Nur wo es lärmt vor der Tür, das gibt’s buchstäblich Licht im Dunkeln, den ratternden Dieselgeneratoren sei Dank. Baklava – und ein wenig süsses Schicksal In einer von schwachem Kerzenschein erleuchteten Bäckerei bestellen wir ein Baklava-Teil. Der Verkäufer lebte ein Jahr in Livigno, gerade mal ein paar Kilometer neben der Ofenpassstrasse, die wir zum Auftakt vor zweiWochen in beste rWinterlaune passiert hatten. Ein schüchterner Mann mit leicht stockender Stimme, bedrückt wirkend und wohl an sich selber zweifelnd. Es stellt sich heraus, dass er nach einem Jahr als Papierloser aus Italien ausgewiesen worden ist; für diese sicherlich harten und unergiebigen Monate einem Schlepper viel Geld bezahlt hat – wohl mehr, als er in seinem Leben hier je wieder zusammenbekommt. Kein Wunder wirkt er so niedergeschlagen – und nein, „sposato“ sei er nicht, es klingt als wäre eine Frau oder gar eine Familie für einen wie ihn nicht vorgesehen..
Ich beginne mich (wieder einmal) in einen Frust ab dem Zustand unserer Zivilisation hineinzusteigern, als sein Vater eintritt. Und einen Schalk versprüht, eine Lebensfreude, wie ich sie in den letzten Stunden an diesem Ort nicht für möglich gehalten hätte. Irgendwie scheint er den Narren an mir bzw. meinen grauen Haaren gefressen zu haben, überhaupt an uns komischen Vögeln, die es da in seinen Laden hineingeschneit hat. Geld will er von uns um keinen Preis annehmen, ganz im Gegenteil, er möchte uns noch weitere Teile mit auf den Weg geben; ich bin platt, beschämt und auch unglücklich darüber – nicht wir sollten von ihnen beschenkt werden, wenn schon müsste es doch umgekehrt sein. Auch die Tausenden von Euro für den Schlepper wollen mir nicht aus dem Kopf. An welchen Teufel musste der Mann wohl seine Seele verkaufen, um diese Summe aufzutreiben? Welche Zinsen sind da zu bezahlen – und in welcher Form?
Während mein temporärer Reisepartner wie üblich schon im Tiefschlaf ist, bevor sein Kopf auch nur das Kissen erreicht, gebe ich mich einmal mehr meinen diversen Krankheiten hin. Und finde lange keinen Schlaf, lausche dafür dem Geheule und Gebelle der sich zu Rudeln zusammengeschlossenen, durch die Innenstadt streunenden Strassenköter.Wo genau bin ich hier gelandet? Ist das wirklich noch Europa? Wie kann es sein, dass in der zweitgrössten Stadt dieses Landes nachts die Hunde den Ton angeben?
Alleingang Nach einer schlechten Nacht folgt ein nicht sonderlich guter Morgen und ich fasse den Entschluss, mich kränklich wie ich schon seit Tagen bin auf keinerlei Abenteuer über ungesicherte „backroads“ im Norden einzulassen. Adamo wird morgen mit einer Fähre die Drin hochschippern und will danach irgendwie nach Kukes gelangen, von wo es eine schwer zu befahrende Piste durch eine Landschaft von wilder Schönheit geben soll. So alles optimal läuft, werden wir uns in drei Tagen in Peshkopi treffen, in den Bergen im Osten Albaniens, nahe der Grenze zu Mazedonien. Getrennte Wege für die nächsten Tage – immerhin ist man hier als Velofahrer nicht alleine..
Kombinierter Langsamverkehr Nun wird die Kamera mein Begleiter; sie hilft, eine innere Unruhe gewoben aus Unwägbarkeiten, diffuser Angst und plötzlicher Einsamkeit zu übertünchen. Da ich ab Griechenland ohnehin für die nächsten Monate auf mich alleine gestellt sein werde, gewöhne ich mich besser sehr schnell an diese Situation! Umso mehr, als ich das Alleinereisen ausdrücklich geplant hatte.. Eine erste Beschäftigung besteht darin, den hier wohl ohne grosses Konzept gut funktionierenden kombinierten Langsamverkehr zu dokumentieren. Die Strasse ist voller Fussgänger, sehr langsam fahrender Autos und vor allem auf beiden Strassenseiten in verschiedene Richtungen strebender Fahrräder!! Als „korrekt“ fahrender Velopilot staunt man nicht schlecht, wie einem scharenweisse alte aber durchaus fahrtüchtige Zweiräder entgegenkommen, die von Leuten jeden Alters gefahren werden. Verkehrstechnisch könnte uns Shkoder durchaus als leuchtendes Vorbild dienen!
Was genau morgen sein wird, ob ich wirklich auf- oder nicht vielmehr abbrechen werde – ich verdränge den Gedanken daran und lausche wieder den Hunderudeln und denke an das Elend, das an die Mauern meiner Luxusinsel schwappt. Ich muss unbedingt gesund werden, um diese intensiven und widersprüchlichen Eindrücke verarbeiten zu können. Und ausserdem brauch ich dringend etwas Kraft für die drohend mit Schneekronen aufwartenden Berge auf demWeg nach Osten.
zwischen Mercedes und Eselkarren Vorbei an zahlreichen Strassenständen mit bunten Plastikbecken, in denen einzelne Exemplare der berühmten Skhodra-Karpfen zappeln, geht es auf sehr guter Strasse über die grosse Ebene entlang der omnipräsenten Drin Richtung Süden. Wenig Verkehr, keine Raser (ganz im Gegensatz zu den zahllosen Warnungen!!), dafür hie und da ein Maultiergespann oder ein hochbeladener Esel, hinter dem sich fast ausschliesslich aus dem Hause Benz stammende ältere Limousinen und neue Minibusse stauen. Hauptstrasse Shkoder–Lezhe: 90% Mercedes, 1% Eselkarren, 9% Sonstige (ohne Gewähr..)
Seit Lezhe fahre ich auf einer fast verkehrsfreien dafür ruppigen Piste parallel zur Hauptstrasse südwärts. An einer Brücke über die aus den Bergen kommende Drin bewegt sich der Lenker nach links – der Entscheid zurWeiterfahrt ist gefallen und schon radle ich mutterseelenalleine auf einer sanft ansteigenden Strasse durch eine herrliche Schlucht den Bergen entgegen. Krankheit und Unsicherheit sind besiegt! Die Bergwelt und die Einsamkeit bekommen mir!
Albaniens Bergwelt – Eindrücke wie aus einer fernen Welt Ein Bretterverschlag mit Dutzenden von kunstvoll aufgeschichteten Motorölflaschen als Auslage erinnert an Südamerika, zahlreiche kleine, meist eher improvisierte Kneipen am Strassenrand mit Sicht auf die Schlucht lassen von einem zukünftigen florierenden Tourismus träumen, Kleinstsiedlungen auf den sanft abfallenden Hängen auf der gegenüberliegenden Flussseite wecken die Neugier, wie man dort in der beträchtlichen Abgeschiedenheit wohl leben mag.
Die Bergwelt Albaniens - Eindrücke wie aus einer ferner Welt.. Kaum gedacht hält vor mir ein Lieferwagen, pilotiert den Wagen eine improvisierte Stichstrasse an der diesseitigen Böschung hinunter, an deren Ende auf etwa halber Höhe zwischen Strasse und Fluss die Ladung auf Maultiere umgepackt wird. Die Tiere werden anschliessend von den Bewohnern geduldig über eine ebenso lange wie äusserst „luftige“ Hängebrücke geleitet – mein „Entdeckergeist“ regt sich und freut sich über die neuen Eindrücke wie aus einer fernen Welt.
Über eine erste Staustufe (Enver Hoxha hatte in seinem Verfolgungswahn nicht nur Tausende von Bunker gebaut, sondern vernünftigerweise auch an eine gewisse Autarkie bei der Energieversorgung gedacht) geht’s weiter in die Berge, Dörfer gibt es hier fast keine mehr, nur einsame Weiler dies- und jenseits des Flusses. Einzig die Grabsteine sind direkt an der Hauptstrasse aufgereiht..
Burrell, ein berüchtigtes Dorf voller gastfreundlicher Leute Rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit und der damit verbundenen klirrenden Kälte treffe ich in Burrell ein - mit einer gewissen Unruhe betreffend der Übernachtungsmöglichkeit. Und wirklich, nirgends ist ein Hotel auszumachen, dafür einmal mehr ausschliesslich mit Männern jeglichen Alters bevölkerte Strassen, diverse dunkle Kneipen - und als Rettungsanker ein Internet-Café.
Eine kleine Verpflegung, viel Parlieren einmal mehr mit allen irgendwie zur Verfügung stehenden Sprachen und Sprachfetzen, eine Internet-Session im verrauchten Saal hinter dem eigentlichen Café (jeder Bildschirm besetzt von der Dorfjugend, die hier spielt und chattet), nochmals ein Coke zur Feier meiner Genesung – nun fühl ich mich „geerdet“ und bereit, für die Dinge die da kommen mögen auf dem weiteren langen und saukalten Weg nach Istanbul.
Nachdem nun die Lieben daheim und auch ich selbst beruhigt sind, bin ich schon fast ins Dorfleben aufgenommen; wahrscheinlich jeder weiss nun, dass da einer aus der „Schwiiz“ (etwa so betonen sie das hier!) per Velo nach Burrell gekommen ist. Ich bin inzwischen hundemüde und werde von einem Kollegen des jungen Kellners zu einem Haus geleitet, das offensichtlich als Schule gebraucht wird und in dem es auch eine Übernachtungsmöglichkeit geben soll. Null-Sterne-Hotel mit Behelfsdusche Vis-a-vis eines Klassenzimmers liegt ein Gästezimmer mit 4 Betten, von denen zwei schon von Polizisten im Einsatz belegt sind. Alles sieht sehr einfach und ziemlich chaotisch aus - aber ich fühl mich wohl, auch die gewöhnungsbedürftige Dusche, ein Uraltklo mit verbeultem Lavabo, an dessen Wasserarmatur behelfsmässig ein Duschschlauch befestigt ist, schreckt mich nicht ab.
Null Sterne für das Design, vier Sterne für das heisse Wasser und für die Gastfreundschaft. Kaum ist nach mehreren Anläufen endlich eine funktionierende Glühbirne gefunden, lässt sich auch dasWarmwasser nicht mehr lumpen - und ich bin vollends glücklich, gerade hier gelandet zu sein.
Von Gewehrschuss-Knallereien, Finanzschwindel und ziviler Unrast Warm eingemümmelt in meinen Schlafsack falle ich in einen eher unsteten Schlaf, der von klar an Gewehrschüsse erinnernde Knallereien auch nicht ruhiger wird. Erst am nächsten Morgen erfahre ich, dass tatsächlich geschossen worden ist, soviel ich mitbekomme aus reiner „Spass an der Freude“.
Nach der zivilen Unrast Ende der 90er Jahre, entzündet am Bankrott der Banken, die hochverzinste Fonds im Schneeballprinzip herausgegeben hatten (der Grossteil der Bevölkerung soll davon betroffen gewesen sein - statt nach Jahren der Isolation im vermeintlich kapitalistischen Wunderland anzukommen, wurde sie brutal mit dessen Kehrseite konfrontiert) - nach diesen Verwerfungen wurden unzählige Waffen aus den Arsenalen der Armee entwendet und haben sich seither wohl nicht allesamt in Luft aufgelöst - zumal nicht hier, im damals anscheinend als besonders „wild“ geltenden Burrell. Zu diesem Ruf (aber nicht zu meinen Erfahrungen!) passen natürlich auch die Anschuldigungen, welche Carla del Ponte in ihrem Buch gegenüber der kosovarischen UCK erhebt, wonach serbische Gefangene nach Albanien ins relativ abgelegene Burell verschleppt worden seien - um ihnen hier Organe zu entnehmen und sie auf dem „freien Markt“ zu verkaufen.. Fatmir hat nun aber ganz zivile Probleme, er sollte nämlich bereits in der Schule sein, will aber den Kaffee nicht ausfallen lassen. Also schnell rein in eine Kneipe um die Ecke, einige tiefe Zigarettenzüge - hier rauchen ausnahmslos immer alle, und zwar Kette! - dann einen Espresso runtergekippt, bevor wir uns wie alte Freunde trennen und je unsererWege gehen.
Türkischer Kaffee in den albanischen Bergen Kaum drei Kilometer ausserhalb Burrell fotografiere ich einige Heuhaufen; ein Bauer beobachtet von der gegenüberliegenden Strassenseite mein seltsames Tun - ein grauhaariger Mann in kurzen Hosen auf einem hochbepackten Velo, der hier Heuhaufen fotografiert. Er spricht mich an und lädt mich kurzerhand zum Kaffee in sein Haus. Bauernfamilie oder Schulkinder – die gegenseitige Neugier ist gross.. So sitze ich schon bald in der Küche des Hauses, zusammen mit der ganzen Familie beim türkischen Kaffee. Konversation wie üblich mit Gesten, einigen Brocken italienisch und etwas englisch. Etwas ungewöhnlich erscheint mir, dass nur ich verpflegt und dabei von der ganzen Familie beobachtet werde. Wenigstens beim eigenen sehr fruchtigen Wein trinkt der Hausherr aber ein Gläschen mit. Da kann ich nicht gut ablehnen und hoffe, der süffige Trank ist nicht allzu schwer – wie soll ich sonst nur je die Berge hochkommen..
In den Bergen Albaniens Freche Kerle und positive Neugier Die Entdeckungsreise geht weiter; vor einem anhand eines auffallend farbenprächtigen Anstrichs von weitem als Schulhaus zu erkennenden Gebäudes ist eben Pause angesagt. Schnell überkommt die Kinder die Neugier - und so posieren sie bereitwillig für ein Foto. Das Schulsystem scheint also auch in den entlegenen Regionen zu funktionieren, ich werde heute noch ganze Schüler-Völkerwanderungen erleben, wobei auch schon mal ein paar Jungs beweisen wollen, wie cool sie drauf sind, dabei schreiend neben mir herrennen und mich auch etwas beunruhigen beim Gedanken, sie könnten mir in den Lenker greifen. Natürlich treffe ich immer dann auf besonders freche Kerle, wenn die Strasse ansteigt und mit meiner 50kg-Zuladung keine Rede von einem auch noch so kurzen Spurt sein kann.
Mercedes-Sammeltaxis, Rückgrat des albanischen Transportwesens Im Laufe des Tages erklimme ich einige Höhenmeter, bei noch immer sehr geringem Verkehr, ausser mir sind nur die allgegenwärtigen genialen Mercedes-Sammeltaxis sowie ein paar Camions unterwegs. Strassenverhältnisse unverändert OK, Schlaglochpisten wechseln im 100m-Takt mit tadellosen neu asphaltierten Abschnitten.
Mercedes ohne Ende - noch vor kurzem auf deutschen Strassen unterwegs Smalltalk mit grossen Gesten an der Grenze zu Mazedonien Wo auch immer ich ein paar Minuten anhalte, sind die Leute sehr interessiert am Wintergast mit dem seltsamen, hochbepackten Reisegefährt. Meist haben sie Zeit im Überfluss und schnell ergibt sich der übliche „smalltalk mit grossen Gesten“ zur Anreicherung der Konversation mit Italienischfloskeln. In einer Kneipe in einem kleinen Ort direkt an der mazedonischen Grenze bei Debar, glüht ein Bullerofen und verbreitet herrliche Wärme – leider funktioniert aber die Espresso-Maschine nicht – Stromausfall, einmal mehr! Nach den vielen Stunden draussen in Kälte und Wind bin ich aber auch über etwas heissesWasser für einen Tee mehr als glücklich.
Die Landstrasse als Raum für Begegnungen../ Peshkopia – malerisches Bergdorf und regionales Zentrum Nord-Ost-Albaniens Trotz Kälte, steilen Hügeln und unangenehmem Gegenwind - nun kann mir wohl nichts mehr passieren, ich werde Peshkopia noch bei Tageslicht erreichen! Das wird aber auch höchste Zeit, ich krieg kaum die Worte zusammen um nach dem Hotel zu fragen, in dem wir uns treffen wollen – meine Gesichtsmuskeln sind vom eiskaltenWind in eine Halbstarre geblasen worden. Nach Dusche, die trotz dem noch immer sozialistischen Mief ausstrahlendem Haus richtig heisses Wasser bietet, falle ich glücklich aufs Bett, lausche dem wieder laut pfeiffenden Wind und hoffe, Adamo ist nicht noch draussen auf der Piste; ich gehe inzwischen davon aus, dass ich ihn heute Abend nicht mehr antreffen werde. Kaum gedacht belehrt mich seine markante Stimme draussen auf dem Flur eines besseren - er hat sich also doch durchgeschlagen, über die wilde Backroad entlang der schwarzen Drin, fast verkehrslos zwar, aber mit umso schlechterem Schotter.Wir fallen uns in die Arme, so erfreut sind wir beide, dass es perfekt geklappt hat mit unserem Treffen hier in den albanischen Bergen.
Das Heer der flanierenden Männer Nachdem wir beim Schnürsenkelkauf hinter Gardinen aus zusammengeknüpften Schuhen einen mittleren Menschenauflauf verursacht habe, bekommen wir von einem der zahllosen „Italien- Rückkehrer“ eine weitere entbehrungsreiche Lebensgeschichte zu hören. Immerhin hat es der ältester Sohn des hier „sischilliano“ gennanten Mannes geschafft, in Sizilien zu bleiben - statt hier Gefahr zu laufen, das „Heer der flanierenden Männer“ zu vergrössern. Ein Heer, das bezogen auf die unmittelbare wirtschaftliche Zukunft des Landes eine beängstigende Grösse aufweist und auch hier in Peshkopia, an einem stinknormalen Dienstagmorgen für eine wuselnde, von jungen Männern bevölkerte Hauptstrasse sorgt; Männer, die ziellos auf- und abgehen, offensichtlich ohne grosse Perspektive oder Hoffnung auf eine baldige Besserung der wirtschaftlichen Zustände.
..es sind aber durchaus auch (moderne) Frauen anzutreffen auf Peshkopias Strassen..
Die berühmten albanischen Bunker - gross genug auch für 2-Meter-Menschen? Die letzten Kilometer in Albanien auf dem Weg zurück nach Debar nutzen wir, um die omnipräsenten Bunker einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Ganz deutlich ist hier die Gruppierung von diversen kleinen Einmann- rund um einen grösseren Kommandobunker auszumachen. Adamo testet aus, ob die Dinger auch für 2-Meter-Brocken taugen. Nun, zumindest kommt er rein - und mit etwas Schwierigkeit sogar wieder raus ;=)
Bunker aus paranoiden Hoxha-Zeiten und friedliche Strassenszene an der Grenze zu Mazedonien bei Debar Und dann stehen wir auch schon an der Grenze zu Mazedonien, dem nach Montenegro zu diesem Zeitpunkt zweit jüngsten unabhängigen Staat Europas (Kosova wird einen Monat nach unserem Aufenthalt selbständig). Die wenigen Tage per Velo durch Albanien haben für mich persönlich einen der letzten weissen Flecke auf Europas Karte mit Farbe und Leben gefüllt, haben die anfängliche leise Unruhe gewandelt in eine erneute Bestätigung, dass die meisten Vorurteile primär von Ignoranz und purer Unwissenheit genährt werden. Der Kilometerstand meines Velos zeigt inzwischen gerade mal 1000km an – und doch drängen sich seit einigen Tagen Gefühle wie bei einer Reise in ferne, exotische Länder ins Bewusstsein. Dabei sind wir nur einen Steinwurf von Italien entfernt; soviel Neues und bisher Unbekanntes ist wohl nirgends günstiger oder ökologischer zu haben!